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Noch Platz im Rettungsboot?

Ein Text aus dem Themenkreis Erlösungshoffnung und Rettung aus der Not, geschrieben aus gegebenem Anlass. Zu diesem Anlass: dieser Tage hörte ich, wie davon berichtet wurde, wie es weitergehe mit den „in Dunkelheit Schlafenden“ und den „Kindern des Lichts“. Zum einen erfuhr ich, die Rettung der „Kinder des Lichts“ sei gewisser Massen schon beschlossene Sache. Offensichtlich gehe man von Seiten der rettenden Kraft sogar so weit, Rettung zu garantieren und sei es auch nur noch ein einziger Mensch von Licht erfüllt.

 

„(…) die Erde wüst und wirr war, Finsternis lag über der Urflut (...) und Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. Gott sah, dass das Licht gut war. Gott schied das Licht von der Finsternis(…)“ AT, Genesis

 

„Licht“ in unserem Kulturkreis gilt als machtvolle Metapher für das „Gute“ und in Bibelsprache der Gerechte. Und somit wäre ein Mensch des Lichts ein guter, gerechter Mensch. Also: solange noch wenigstens ein guter Mensch auf der Welt zu finden sei, würde das Leben bewahrt. Das war ja schon mal beruhigend. Das erinnert an die Geschichte von Abraham, der um seine Stadt Sodom vor der Vernichtung zu bewahren, lange mit dem Einen Gott feilschen musste. Der Eine hatte sich breitschlagen lassen, die Stadt nicht auszutilgen, wenn Abraham nur zehn Gerechte in Sodom fände und vorzeigte. Leider ging Abrahams Rettungsversuch schief. Es fanden sich die geforderten Gerechten nicht.                         

Insofern können wir heute froh sein, dass wir es allem Anschein nach nicht mit dem Gott des Alten Testaments zu tun haben, sondern von einer offenbar großzügigeren Rettungs- beziehungsweise Verdammungsinstanz abgeurteilt werden.

Aber leider sei es ja doch so, dass es in Summa doch nur eher wenige „Licht-Menschen“ gäbe, die auf Rettung hoffen dürften. Es bleibt an dieser Stelle noch die Frage zu klären, welche Instanz denn bei uns entscheiden wird, ob es sich jeweils um „Licht-Menschen“ handelt. Handelt es sich womöglich um die geheimen, aufgestiegenen Meister:innen, die von den theosophischen Okkultisten des 19ten Jahrhunderts in der unterirdisch, in den Tiefen des Himalayas wohl verborgenen Stadt Agarthi verorteten? Oder handelt es sich um heutige, modernere Autoritäten und Fachleute in der anspruchsvollen Kunst der Erkenntnis von Gut und Böse, Licht und Dunkel, wach und schlafend und somit wert und unwert, die diskret und behutsam unser Wohl und Wehe steuern. Fachleute, die uns wohl die Freiheit zubilligen im Tage oder in der Nacht zu wandeln, aber zuletzt dann doch zu Recht, und daher sehr unnachgiebig, darauf bestehen, anhand ihrer allgemein verbindlichen Kriterien zu entscheiden, wer erlöst und wer verdammt wird.

Gibt es für diese Entscheider in der Frage, Rettung und Aufstieg in neue geistige Dimensionen oder Versagen durch weiteres im-Dunkel-wandeln, ewige Verdammnis oder gleich der Tod irgendeinen Befähigungsnachweis?                                                                     

Wird dieses Urteil etwa in einem öffentlichen Vorgang anhand von Beweisen begründet?       

Etwa bei einer Verhandlung, wie dem letzten Gericht? Obwohl das wäre ja auch erst nach dem Tode und damit eigentlich ein wenig spät. Man will doch jetzt schon was haben vom Gutsein.                                                                                                                                                 

Gibt es womöglich letzte Schlachten wie sie der Apostel Johannes in seiner Apokalypse beschreibt? Wobei man sich gerade heute vor Fakenews über dieses Großereignis hüten müsste.                                                                                                                                                 

Oder gibt es irgendwelche anderen Kriterien, die auf Lichtmangel hinweisen, sodass die Guten zurecht sagen können: „der war wohl keiner von uns, schad‘ nix“?                                                     

 

Bei den Zeugen Jehovas gilt zum Beispiel derjenige als „Gut“ und damit des Rettens wert, der in vorgeschriebener Weise Jehova bezeugt. Und wie das ordnungsgemäß auszusehen hat, wissen die Zeugen von Jehova selbst. Da gibt es keine Legitimitätsprobleme. Allerdings ist die Gesamtzahl der zu rettenden Zeugen auf Einhunderttausend Personen begrenzt. Leider ist das Bevölkerungswachstum auch an den Zeugen Jehovas nicht vorüber gegangen, so dass diese Zahl also wohl als weit überschritten gelten kann. Entweder Jehova bessert bei der Zahl noch ein wenig nach, oder die Zahl stellt sich überhaupt als ein Rechenfehler heraus, sonst werden sich am letzten Tag doch gewisse Probleme einstellen.                                          

Und zuletzt und entscheidend: wie kann ich denn wissen, ob ich zu den „Guten“ den „Licht-Wesen“ gehöre und erleichtert aufatmen kann? Zum Glück scheint es ja entsprechend ausgebildetes Fachpersonal zu geben, dass in dieser Frage die erstrebten, Rettung verheißenden, Antworten zu liefern vermag. Entweder weil sich das Fachpersonal selbst aus dem Topmanagement aufgestiegener Weiser bildet, die quasi inkognito ihrer Liebestätigkeit nachgehen oder es sich bei diesen aber mindestens, um von jenen abgesandte und sorgfältig geschulte, fähige Mitarbeiter handelt.  

Aber selbst, wenn die Ausbildung zertifiziert ist: ich will ja nicht nörgeln, aber es bleibt das Problem mit dem objektiven, beglaubigten Befähigungsnachweis.                                            

 

Wir Kenner der Probleme menschlicher Wahrnehmung und Erkenntnis schaudern. Zum Glück wird die Wahrheit oft zur letztlich willigen Beute unseres Gespürs und Bauchgefühls.

 

In diesem Zusammenhang sei auf das, in unserem Kulturkreis, „virulente“ Problem der göttlichen Prädestination hingewiesen, der zufolge Gott schon ganz am Anfang „Alles“ vorhergewusst habe. „Alles“ heißt eben auch, dass Gott schon klar war, wer zu den rettenswerten „Guten“ und zu den verdammenswerten Losern gehören würde. Übrigens verweist der Begriff „Kulturkreis“ darauf, dass es sich mit der Wirksamkeit kultureller Faktoren nicht um die Folgen von Glaubensakten handelt, sondern um epigenetische Bedingungen unserer Existenz a priori. Es scheint, dass allein die Kenntnis dieser oft toxischen Faktoren ein Antidot gegen ihre potentielle geistige Zerstörungskraft bietet.

Stellt sich da die Frage nach Milde, Gnade und Liebe nicht noch einmal ganz neu. Besonders, wenn in der Geschichte, auf die ich mich hier beziehe, so viel davon die Rede ist, wer zu der geringen Zahl der auserwählten Guten gehört und was mit der, offenbar erstaunlich wenig bedauernswerten, Masse von Menschen geschieht, die eben nicht zu den nachgewiesenen „Guten“ gehören, die dann eben irgendwie „wegkommen“. Schwamm drüber!         

Zugegeben: viele von denen nerven schon ganz erheblich.                                                          

Aber trotzdem…

 

Besonders erfreulich für die „Guten“ sei dann noch ein gewisser „Aufstieg“ hieß es weiterhin wie der Aufstieg aus der Fußballregionalliga in die Bundesliga – eine Verbesserung. Um zu verdeutlichen worum es bei einem „Aufstieg“ in diesem Kontext geht, verweise ich noch einmal auf den kulturellen Grund, in dem wir in der christlich geprägten Welt wurzeln: Und da findet sich die Wiederauferstehung im Fleische in und um Gott. Sozusagen das geistig-spirituelle Ticket für das Dinner am Kapitänstisch. Das ist natürlich die Langzeitperspektive. Zuvor geht es mehr um eine „Aufwertung“ und „Verbesserung“ des Menschen: mehr Licht, mehr Liebe, weniger Begrenztheit, mehr Weisheit, womöglich sechs Richtige im Lotto. Also eine Steigung über die bisherigen Grenzen des Menschen.                       

Nennt man das nicht heutzutage Transhumanismus?

Da stellt sich die Frage, woran bemerken wir denn unseren „Aufstieg“?                                 

Liegt unser Aufstieg womöglich im Auge unserer Mitaufsteiger, in dem wir Bestätigung finden und selbige spenden?                                    Merken wir es am Untergang der Verworfenen?                                                                     

Werden wir lange die Luft anhalten und sogar schweben können?                                                                                                                         

Spüren wir es an unserer Glückseligkeit, Extase und allgemeinem Heidewitzka oder wird es doch eher ein stilles Gefühl sein der Erhobenheit  und des Erwähltseins?

 

Ich bin auf jeden Fall sehr gespannt, wann es endlich soweit sein wird, dass die Geretteten ihre Boote besteigen, um zu ihrem Shangri-la zu segeln. Da bleibt kein Herz frei von Rührung: so ähnlich wie in der Schlussszene von „der Herr der Ringe“, wenn die übrig gebliebenen Gefährten nach ihrem erfolgreichen Kampf gegen die Kräfte der Dunkelheit Mittelerde verlassen, um zu den Inseln der Seligen zu gelangen.