Der Kontext, aus dem ich auf den Begriff der Milde zu sprechen komme, hat mit einem zutiefst im Menschen verankerten Wissen zu tun. Die Bedingung für das Menschsein überhaupt ist das Verlassen des Paradieses. Die Paradies-Geschichte spricht von der Bewusstwerdung des Menschen. Damit ist die Erkenntnis seiner Selbst gemeint und dazu gehört als grundlegendes Motiv, die Erkenntnis der Endlichkeit, also auch die Erkenntnis der eigenen Sterblichkeit. Vor dem Hintergrund der Unvermeidlichkeit des Endes der eigenen Existenz und dem verzweifelten Versuch, dies zu verdrängen, sind viele Elemente des menschlichen Lebens, vor allem derjenigen, die mit Angst und Schmerz, mit Verlust und Veränderung überhaupt verbunden sind, zu verstehen.
In der heutigen Zeit ist ein großes Thema die Ausübung von „Macht“ als Symbol für die Kontrolle des Lebens, in der Hoffnung damit, wie mit einem magischen Akt, die eigene Existenz zu verstetigen. Wie auch immer: die Tatsache der Endlichkeit des eigenen Lebens ist ein tiefer Schmerz. Das Wissen um die Begrenztheit unserer Zeit auf Erden ist hinzunehmen und will angenommen werden.
Weil dieses Schicksal alle Menschen betrifft, weil diese Erkenntnis immer mit dem Gefühl des Dunklen, Unbegreiflichen verbunden ist, müssten wir Menschen alles tun, um uns gegenseitig dabei zu helfen, diese Zeit auf der Erde so ausgefüllt und schön zu machen wie auch immer es möglich ist unter den Bedingungen der Kontingenz.
Deshalb bedarf es des milden Umgangs mit uns selbst und mit unseren Mitmenschen.
Vom Ende aus betrachtet kann unser Leben eine grandiose Reise sein und als das Wunder erlebt werden, dass das Leben im Allgemeinen und unser Leben im Besonderen überhaupt ist.
Es kann aber auch als ein sinnloses Tändeln vor dem unvermeidlichen Verlöschen erfahren werde. Die Angst vor dem Tod bringt zuerst die Angst vor dem Leben hervor und zuletzt auch den Hass auf das Leben.
Vor dem Hintergrund dieser Angst und dieses Schmerzes ist das Verhalten der Menschen zu verstehen.
Dieses Verständnis und die Annahme der Erkenntnis der eigenen Endlichkeit führt zur Milde.