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KOGNITIVE DISSONANZ V

Mir ist aufgefallen, dass bei meiner Definition und inhaltlichen Beschreibung von Kognitiver Dissonanz (in der Folge KD) eine wichtige Unklarheit entstanden ist, die ich gerne beheben möchte. Worauf ich nämlich nicht deutlich hingewiesen habe, ist die Tatsache, dass die KD eigentlich eine sehr gute Einrichtung innerhalb unserer Erkenntnis- und Wahrnehmungswerkzeuge ist. Bei meinen Beschreibungen klingt es manchmal so, als sei die KD ein Problem, vielleicht sogar DAS Problem. Das stimmt so nicht.

Zunächst einmal: Was zeigt uns die KD und wie äußert sich das?

Sie zeigt uns, dass „etwas nicht stimmt“, zwischen den Dingen der Welt und mir gibt es Unstimmigkeiten „es passt nicht“. Das fühle ich manchmal ganz klar, manchmal merke ich es nicht so bewusst. Das macht mich unruhig. Ärgerlicher weise läuft der ganze KD-Mechanismus sogar ganz oft völlig unbewusst ab.

Äußern kann sich KD als ein leichtes mentales Kribbeln, das sich steigert bis in das Gefühl überhaupt nicht mehr richtig in der Welt zu sein und alle Alarm-Glocken gellen dazu.

 

Aber: Eigentlich ein geniales Warnsystem. Es lässt uns beim Griff in das Anmachholz zögern. Beim genauen Hinschauen sehen wir erst die Schlange zwischen den Ästen.

 

Dazu folgende Geschichte:

Nach einem Spaziergang an der frischen Luft kommt die Horde unserer Vorfahren zurück in die heimische Höhle. Einige befällt ein ungutes Gefühl, das Gefühl „irgendwas stimmt nicht“, „irgendwas ist nicht in Ordnung“.

Das „komische Gefühl“ veranlasst sie zum Handeln. Sie schauen nach, woher das wohl kommen mag. Es ist keine Magenverstimmung und auch kein ärgerliches Restgrummeln nach dem Streit mit einem Partner. Sie sehen sich um. Tatsächlich, bei genauem Hinsehen finden sie an der Höhlenwand ein Büschel Bärenhaare. War möglicherweise in ihrer Abwesenheit ein Bär in ihrer Höhle. Oha!

 

Jetzt wird die nächste Stufe der KD ausgelöst:

Es gibt mehrere Versionen, wie die Geschichte weitergeht.

Manche der Höhlenmenschen wünschen, dass der Bär wohl schon weg sei, gucken noch einmal proforma in die Runde: kein Bär. Man vermutet: Die Haare können ja auch von einem Schlaffell stammen oder kleben da schon seit dem letzten Jahr, da gab es doch einen leckeren Bärenbraten. Bis der überm Grill hing, war das eine haarige Angelegenheit. Außerdem sei man jetzt müde, und man wolle es erstmal bei diesem „Befund“ belassen und eventuell morgen noch mal nach sehen, wenn man dran denke. Außerdem sollten die alten Pessimisten mal aufhören zu unken.

Damit „befreien“ sich diese Höhlenbewohner von dem unangenehmen Gefühl der KD.

Das nennt man heute „Kognitive Verzerrung“, denn sie wählen als Erklärung und „Heilmittel“ zur Beseitigung der KD eine positive Vorstellung. „Verzerrung“ heißt es, weil der Wunsch, dass es nicht so schlimm sein möge, den Blick auf die Realität verzerrt.

Dann gibt es Höhlenbewohner, die anders auf die KD reagieren: sie fangen sofort an, aufgeregt herum zu suchen, bewaffnen sich mit ihren Spießen und wollen den „verdammten“ Bären abstechen. Dabei hauen sie ihren armen Kumpan, der in der Ecke schläft und schnarcht, beinahe tot, weil sie sein Schnarchen für das Brummen eines wilden Bären halten.

Das nennt man auch „Kognitive Verzerrung“, denn sie wählen als Erklärung und „Heilmittel“ zur Beseitigung der KD eine negative Vorstellung. Auch hier verzerrt die Erwartung, in dieser Version der Geschichte die Erwartung von etwas Bösem und Gefährlichen, den Blick auf die Realität.

 

Derjenige Höhlenmensch, der vorschlägt, doch erst einmal die Situation in Ruhe zu untersuchen, dann aufgrund des Befundes zu erwägen, was zu tun sein, gilt als Langweiler und wird wahrscheinlich von beiden Fraktionen niedergeschrien.

 

Nach Lage der Dinge fällt es nicht schwer, eine vertretbare Theorie darüber zu entwickeln, von welchen Vorfahren die Mehrzahl der Menschen abstammt.

 

Bei einem „Gefühl“ von Kognitiver Dissonanz wäre dementsprechend folgende Strategie sinnvoll. Das Problem dieser Strategie besteht aber leider darin, dass sie nur von demjenigen optimal angewendet werden kann, der um diese innere Alarmanlage weiss und sich damit auseinander setzt.

Dieser Tapfere muss als nächstes das höchst unangenehme, verunsichernde, oft auch angstvolle Gefühl, dass etwas nicht stimmt wahrnehmen, zulassen und aushalten.

Das ist eine große Hürde, denn wenn „etwas“ nicht stimmt, sagt eine Stimme aus dem unbewussten Erbe unserer stammesgeschichtlichen Erfahrung, dann sind wir gefährdet „und nix wie weg!“.

Schafft er diesen ersten Schritt der Vergegenwärtigung, ohne dem riesengroßen inneren Bedürfnis nachzukommen, irgendwie und vor allem schnell, aus der Spannung herauszukommen, sei es durch Angriff oder Flucht, könnte eine sorgfältige Introspektive und auch Untersuchung der allgemeinen Lebenssituation erfolgen.

 

Introspektiv heißt, dass der Erkenntnis-Suchende sich unter anderem die Frage stellt: „was in mir löst dieses Gefühl aus, das „etwas nicht stimmt“. Wie kommt es, dass ich denke, was ich denke?“

Oft genug finden sich allzu schnell Andeutungen von Antworten, die einem die Alternative des unbewussten Agierens in der Kognitiven Verzerrung als sehr attraktiv erscheinen lassen, nach dem Motto „Selbsterkenntnis – gar nicht erst!“

Dem widerstehen wir aber mit etwas Mühe, Disziplin und Übung.

Mit dieser Entscheidung begeben wir uns dann wahrlich auf eine „Heldenreise“.

 

Als nächstes untersuchen wir, was sich in unserer Umwelt als Begründung für unsere Unruhe findet. Es müssen keine Bärenhaare sein, es kann auch der Inhalt der letzten Corona-Verordnung sein. Und manchmal reicht sogar der feindselige Blick der Kassiererin im Supermarkt.

 

Zuletzt entscheiden wir dann, wie wir mit dem vorgefundenen Sachverhalt umgehen wollen und handeln entsprechend.

Das wäre dann der Vollzug der Selbstermächtigung und eine, meiner Meinung nach, kluge Nutzung der „Mechanismen“ der Kognitiven Dissonanz bei gleichzeitigem achtsamen Umgang mit den Problemen Kognitiver Verzerrungen.