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in Platos Höhle

"In Platos Cave" von Robert Motherwell

 

 

 

 

 

 

 

Das berühmte Höhlengleichnis lässt Platon seinen Lehrer Sokrates in seinem Buch "Politeia" erzählen. 

Ich möchte Euch diese Geschichte, gewissermassen „aus gegebenem Anlass“ nacherzählen. Ihr werdet sehen, schon im 5. Jahrhundert vor Christus war es um die Erkenntnisfähigkeit der Menschen nicht besonders gut bestellt. Auch die Dankbarkeit der "alten" Griechen gegenüber Menschen, die sie aufklären wollten, lässt sich durchaus mit Erfahrungen vergleichen, wie wir sie auch heute täglich machen.

Die Geschichte beschreibt den Ort, an dem die Menschen leben und wie sie dort leben. Stellt Euch vor, da gibt es einen Schacht oder Tunnel, der steil und tief hinab führt in eine Höhle, in ein Reich der Dunkelheit, fern vom Sonnenlicht. Dieser Ort ist so weit von der hellen Welt des Lichtes entfernt, dass man von dieser anderen Welt noch nie etwas gehört hat. Die Menschen sind dort geboren. Sie kennen nichts anderes. 

Stellt Euch einen Eisbären im Kölner Zoo vor. Er gehört schon der fünfzigsten Generation von Eisbären an, die in einem Zoo zur Welt gekommen ist. Wenn Ihr diesem "Eisbären" von der unendlich weiten, eisigen Welt des Nordens erzählt, wird sich ihm wahrscheinlich der Pelz sträuben, weil er einen Anflug von Angst vor der Weite spürt. Er kennt nur sein Betonbecken. Er wird Euch gar nicht glauben. Er wird sagen: „Ok. Nehmen wir mal an, dass es den Nordpol gibt. Mir wär das zu kalt. Und wer bringt mir dann meine Heringe?“

So geht es auch den Menschen in Platons Gleichnis. Aber es kommt noch schlimmer. Tief unten in dieser Höhle leben die Menschen an allen Gliedern gefesselt, an eine Mauer hinter ihrem Rücken gekettet. Ihre Köpfe sind so befestigt, dass sie nur nach vorne, in eine Richtung schauen können. Alles was sie da sehen, ist eine Wand. Auf dieser Wand sehen sie Schatten, die sich bewegen. Die Schatten sind undeutlich. Es ist nicht klar, was sie darstellen. Aber sie sind alles, was die Menschen sehen können. Diese Schatten sind alles, was sie erkennen können. Sie halten die verzerrten Bilder für wahre Dinge. Die Menschen sind in ihrer Position für immer gefesselt.

Sie können nicht wissen, was diese Schatten wirft. Es ist so, dass hinter der Mauer an die sie gefesselt sind, Gegenstände vorüber getragen werden. Das Licht eines Feuers bildet diese Gegenstände undeutlich als Schatten auf der einzigen Wand ab, die die Menschen sehen können. 

Die Menschen aber glauben, dass das, was sie in diesen Schatten zu erkennen glauben, der tatsächlichen Welt entsprecht. Da das ihre einzige Erkenntnis ist, glauben sie, dass aus diesen vagen Trugbildern die Wahrheit herauszulesen ist. Das ist alle Erkenntnis, die sie haben. Sie streben danach, sie zu behalten und zur Not würden sie ihre „Wahrheit“ auch verteidigen.

Dann passiert einmal, dass bei einem dieser Höhlenbewohner die Fesseln sich lockern und er sich bewegen kann. In den meisten Fällen, in denen so etwas vorkommt erschreckt der Mensch und erstarrt am Fleck, angstvoll bleibt er unbewegt sitzen, so als sässen die Fesseln noch fest. Aber manchmal, bei einem von Vielen, erwacht mit der Freiheit der „entfesselten“ Glieder, die Frage, ob es nicht doch noch etwas anderes gäbe als Fesseln, Dunkelheit und Schatten.

Dieser Eine macht sich dann auf den langen Weg durch diese Unterwelt. Er klettert den steilen Stollen empor. Es ist kein leichter Weg. Zuletzt tritt er aus der Höhle hinaus in die Welt. Zunächst ist er geblendet von dem strahlenden Licht der Sonne. Aber bald kann er im Licht der Welt die Dinge selbst erfahren. 

Als er dann, nach einer Zeit der Freude und des Genusses, an seine in der Höhle weiter im Dunkel verkümmernden Mitmenschen denkt, empfindet er tiefes Mitleid für die Gefesselten und fasst den Entschluss wieder hinabzusteigen und die „frohe Botschaft“ von einer Welt voller Licht und Freiheit zu überbringen.

Als er wieder in der Tiefe angekommen ist, bereiten die Gefesselten ihm keineswegs einen großen Empfang. Im Gegenteil: die „Schatten-Gläubigen“ weisen ihn als Lügner und Volksverführer, als Feind ihrer einzigen, wahren Welt und als Verschwörer zurück, der sie in seinen Wahnsinn hineinreissen will. Die Höhlenbewohner sind sicher, falls es tatsächlich so etwas wie eine Sonne gäbe, hätte sie ihn wohl mit ihrem Schein verrückt gemacht. Sie seien aber bei Verstand und liessen sich von seinen verrückten Reden nicht täuschen. Zuletzt ist er froh, dass sie gefesselt sind, denn sonst hätten sie sich wirklich auf ihn gestürzt und ihn zerrissen.

Unsere Zeit lehrt uns, dass sich die Mehrzahl der Menschen in den letzten zweieinhalb tausend Jahren noch nicht aus der Höhle heraus bewegt haben. Sie ahnen nicht einmal, dass es eine Alternative zu ihrer "Hölle" gibt.

Aber es finden sich auch heute einige, wenige Menschen, gemessen an der großen Zahl der Höhlenbewohner, die sich auf den Weg gemacht haben.

Bei Platon führte der Weg aus der Welt der Schatten heraus in das Reich der Ideen, in die Spähre des Göttlichen. Die Sonne selbst verkörperte für ihn die Idee des „Guten“, die zu erfassen das höchste Ziel des Menschen sei.