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Erlösung

 

Das Video eines Interviews von Erich Fromm wurde zum Anlass für diesen Text. Video siehe unten.

Zu meinem Thema „Erlösung“ empfehle ich die ersten zehn Minuten dieses Videos.

https://www.youtube.com/watch?v=sVd4dKH3vng

Fromm spricht darin über den rettenden und erlösenden Gott. Aber: das ganze Video lohnt sich. Es ist vierzig Jahre alt! Auch damals war schon klar, welche Grundprobleme des Menschen zwischen „Haben und Sein*“ immer mehr in den Vordergrund der Gesellschaft drängen. 

Ausgehend von Kant möchte ich aufzeigen, warum die Frage nach „Erlösung“ in unserer Zeit immer mehr Bedeutung erlangt. Das Motiv der Erlösung taucht gerade in der „Corona-Krise“ auf allen Seiten immer wieder auf.

 

Eine Grundaussage zum „Menschen“ findet sich bei Immanuel Kant: die „Selbstzweckformel“ als eine Formulierung des kategorischen Imperativs.

„Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst.“ 

Das heisst, die Dinge der Welt können einen Zweck für den Menschen erfüllen, niemals aber darf der Mensch ein Zweck für die Dinge (oder für andere Menschen) sein. Oder: Die Produktion von Dingen geschieht immer für den Menschen. Niemals darf es aber so sein, dass der Mensch da ist als Mittel für die Produktion von Dingen. Darin ist von der unhintergehbaren Würde des Menschen die Rede. Um mit Marx zu sprechen, wenn der Mensch zum Produktionsmittel im Kalkül der Kapitalvermehrung verkommt, hört er auf, Mensch zu sein und wird zum Zahnrädchen. Das Ergebnis dieses Vorgangs nannte Marx „Entfremdung“. Da sind wir in der heutigen Zeit allerdings schon lange angekommen. So wird in der Gesellschaft Bildung nur noch als Voraussetzung für den Einsatz in der Industrie betrachtet. Folgerichtig sind wir jetzt die „Versuchskaninchen“ der Pharmaindustrie. Die Medizin ist nicht mehr für den Menschen da, sondern der Mensch für die Medizin (und deren Hersteller).

Die Entwicklung, in der Menschen nicht mehr Zweck für und an sich selbst sind, sondern nur noch einen Zweck für Andere erfüllen und deren Leben letztlich nur dann noch einen Wert finden nach dem Mass ihrer Brauchbarkeit, erreicht gerade einen Höhepunkt. Je mehr der Mensch in diesem Geschehen von sich selbst und seinem Dasein entfremdet wird, um so stärker wird (leider bei den meisten nur unbewusst, verdrängt, verschoben und projiziert) das Gefühl des Verlustes an seinem Dasein. Und damit wächst der Wunsch, aus dieser Ferne zum eigenen Leben, Erlösung zu finden. Dieses Motiv ist mir beim Anschauen des Interviews mit Erich Fromm nochmal eindrücklich bewusst geworden. 

Darum soll es jetzt gehen. Dieser Text soll dazu anregen, noch einmal mit erneuerter Kraft, frischem Mut und Klarheit, die eigene geistige und seelische Position zu bedenken, als notwenige Voraussetzung für Selbstermächtigung (das heisst: ich gebe mich mir selbst, schenke mich Dir und nehme Dich als Geschenk entgegen).

Das Thema der Erlösung ist eine der Grundlagen unserer judäisch-christlichen Kultur. Im Alten Testament sind es die Propheten, die eine Erlösung des Volkes vorhersagen, wenn es denn endlich den Gesetzen ihres Gottes gehorcht. Erst dann erfolgt als „Belohnung“ die Erlösung aus Not, Elend und Sklaverei. Die Voraussetzung für Erlösung liegt in der Erfüllung des von Abraham und Moses geschlossenen Vertrages mit Gott. Im Neuen Testament wird der Glaube in die Verheissung von Jesus zur Grundbedingung der Erlösung und der Erlangung des ewigen Lebens. 

Im Vater Unser heisst es: „Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen.“

Die Hoffnung, das die Menschen auf ein besseres Leben haben, gilt also der Erlösung von dem Bösen. Das Böse kommt von Aussen, letztlich als Folge der Einflüsterungen durch Luzifer in der Gestalt einer Schlange. Von Aussen kommt heute das Böse in Gestalt eines Virus. Genau dieses Grundmotiv ist ein bestimmendes Element des aktuellen Geschehens. 

Dass die Grundnarrative des christlichen Glaubens unsere Kultur zutiefst bestimmen, ist ein Thema, dem ich einen eigenen Text widmen werde. Dies ist zum Beispiel besonders wichtig wegen des „Fluches“ der Lehre von der Erbsünde-Erbschuld und mehr noch wegen der Lehre der Allwissenheit Gottes und der darin verankerten Prädestination, dem schrecklichen Grund für Erwähltheits- und Hoffnungslosigkeits-Psychosen, die beides für unsere Kultur eine schwere Hypothek bedeuten.

In wie weit ist das Motiv der Erlösung für das von Aussen kommende Böse für unsere Zeit von Bedeutung. Ich möchte diese Frage aus zwei Perspektiven angehen.

1. aus der Perspektive der Menschen, die sich vor einem tödlichen Virus fürchten und sich den, ihnen als notwendig präsentierten Massnahmen des Führungspersonals unterwerfen und den Menschen, die diese Massnahmen verordnen.

Der Virus verkörpert das Böse, von dem uns Gott erlösen möge. An die Stelle von Gott sind Wissenschaft+Politik+Geldmacht getreten. Man muss die zutiefst religiöse Grundstimmung in dem ganzen Geschehen erkennen, um die ungeheure, eigentlich ja gleichzeitig völlig unverständliche, Wirkungsmacht einschätzen zu können. Indem die Menschen sich völlig unterwerfen, geben sie ihrer Hoffnung und dem verzweifelten Wunsch Ausdruck, gerettet zu werden. Sie hoffen, von einer Macht, weit jenseits ihres Verständnisses erlöst zu werden. Deshalb müssen sie einfach glauben.

Neben den Grundstrukturen unserer Biologie (s. Stressapparat) und unseres Denkens (s. kognitive Dissonanz) liegt darin ein wichtiger Grund, weshalb kaum ein Gespräch mit vielen Menschen möglich ist. Wenn die Hoffnung auf Errettung durch eine höhere Macht argumentativ angegriffen wird, droht der Sturz in ewige Verdammnis. Und ist nicht der Einflüsterer der Teufel selbst? Im übrigen ist das Motiv der Errettung durch eine höhere Macht auch auf der anderen Seite, bei den Kritikern zu finden, entstammen doch auch diese dem selben kulturellen Urgrund. Das Führungspersonal, das die Massnahmen unter Einsatz ihrer Machtmittel durchsetzt, ist auf die eine oder andere Weise von dem selben Motiv getrieben. Für das Führungspersonal spielt gewiss das Gefühl (oder besser noch: die narzisstische Wahnidee) erwählt zu sein eine große Rolle. Da sind wir bei dem Motiv der Prädestination. Das ist besonders auffallend bei Menschen wie Bill Gates. Wer von Gott erwählt ist im Kampf gegen das Böse, hat damit die höchste denkbare Legitimierung. Ich vermute ein Teil des Führungspersonal hat sich in Erwähltheits-Psychosen verloren und glaubt damit, alles tun zu dürfen im Kampf mit dem Bösen und all dem, was sie dazu erklären. Ein anderer Teil geht vermutlich in ihrer aus der Erwähltheit herrührenden Machtvollkommenheit noch viel weiter. Sie wähnen sich schon gleich an Gottes statt. Als „Erlöser“ sind sie in ihrem Handeln keiner Vernunft und schon gar keinem „menschengemachten“ Gesetz mehr verpflichtet. Als „Erwählte“ sind sie für keine Kritik und keiner von ihrer Überzeugung abweichenden These gegenüber noch erreichbar. Was auch immer es sei ist böse und „muss weg“. Das durchzusetzen fällt ja mit der Medienmacht nicht schwer. Zu dem Thema „Gottes-Psychose“ ist ein weiterer Text in Vorbereitung: die Wahnidee absoluter Freiheit in der Metapher des „Satanismus“.

2. aus der Perspektive der Menschen, die viele Tatsachen und Zusammenhänge des Narratives erkennen, vom tödlichen Virus bis zu den Konsequenzen, die sich aus den „Rettungsmassnahmen“ des Führungspersonals ergeben. Je länger das „Böse“ anhält und je stärker das Gefühl persönlicher Ohnmacht gegenüber der Gewalt anwächst, umso stärker wird die Hoffnung auf Erlösung aus der Not. Gegen den überwältigenden Druck hilft zuletzt nur eine noch stärkere Macht, die uns erretten soll. Ich finde mich selbst auch eher in dieser Gruppe. Auch ich bin in Not und sehne mich nach einer helfenden Hand, die mich erlöst. Ich sehe aber auch hier die Gefahr, dass diese Erlösungs-Sehnsucht in zunehmende Blindheit gegenüber den Dingen und Geschehnissen Welt und in einen Zustand kognitiver Dissonanz führen kann. Weiterhin bitte ich zu bedenken, dass  der Wunsch nach Erlösung aus einem unerträglichen Zustand oft zu der Hoffnung und Erwartung auf einen Erlöser führt, was ganz eigene Probleme birgt. 

Zumal das ganze Corona-Geschehen sich relativ mühelos in die Beschreibung der Apokalypse des Johannes aus dem Neuen Testament projizieren lässt: der Endkampf von Gut gegen Böse, die Herrschaft Satans auf Erden, die wenigen getreu Glaubenden, die Wiederkunft des Erlösers, die endgültige Niederschlagung des Bösen und der Bösen in Armageddon, der letzten Schlacht, zuletzt der Triumph des Erlösers und der Guten, das Paradis. Gerade die Amerikaner lieben diese Erzählung. 

 

Zusammenfassend ist zu sagen: das Ausmass der Verwirrungen und Verirrungen in unserer Zeit ist zutiefst im geistigen Untergrund unserer Kultur verankert. Um sich aus dieser geistigen Zwangslage befreien zu können, ist es meiner Meinung nach notwendig, sich eingehend mit der Frage nach der Motivation und Struktur unseres Denkens, Fühlens, Empfindens und natürlich Handelns zu beschäftigen. Sich dieser Kritik zu stellen, öffnet eines der Schlösser an der Tür, die in das Reich des Neuen Sechsten Tages der Schöpfung führt, den Moment der Selbstermächtigung, zu echter Autonomie und Selbstverantwortung.

*Haben oder Sein, Fromm, 1976