Die Sieger im Befreiungskampf gegen Napoleon Bonaparte wollten nach den schrecklichen Kriegsjahren zurück zu dem Leben vor der Französischen Revolution. Dazu gingen die konservativen Monarchen Kaiser Franz I. von Österreich, der russische Zar Alexander I. und der preußische König Friedrich Wilhelm III. ihre „Heilige Allianz“ ein.
Dieser Zusammenschluss basierte auf gemeinsamen Interessen. Ihnen ging es um die Restauration der Ordnung Europas. Veränderungen, die auf die Französische Revolution und Napoleon zurück gingen sollten wieder abgeschafft werden. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit waren für die Herrscher keine Option. Ihre Reiche sollten wiederhergestellt werden auf dem Stand der Zeit vor 1789.
Dazu sollten die Beschlüsse umgesetzt werden, die beim Wiener Kongress nach Napoleons Verbannung gefasst worden waren. Zum einen sollte ein durch Verträge abgesichertes Gleichgewicht unter den europäischen Großmächten erreicht werden mit dem Ziel eines dauernden Friedens. Für den deutschsprachigen Raum wurde der Deutsche Bund gegründet, ein lockerer Staatenbund, in dem die Souveränität der Fürsten in ihrer ganzen Machtfülle erhalten bleiben sollte.
Allerdings waren in der Folge der Befreiungskriege neue Bedürfnisse beim erstarkten Bürgertum entstanden. Der Wunsch nach Grundrechten, einer geschriebenen Verfassung, die für das ganze Volk gelten sollte, insbesondere aber die Beendigung der deutschen Kleinstaaterei sollte durch die Bildung eines umfassenden deutschen Nationalstaates erreicht werden.
All das lag aber nicht im Interesse der Fürsten. Sie beschlossen diese nationale und liberale Bewegung mit allen Mitteln zu verhindern.
Der österreichische Staatskanzler Fürst Metternich entwickelte sich in den folgenden zwanzig Jahren zur zentrale Figur in den umfassenden Unterdrückungsaktionen gegen den Wunsch des Bürgertums nach neuen Freiheitsrechten.
Er entwickelte das „System Metternich“, eine ausgeklügelte, radikale Strategie, um die Forderungen des Volkes zu bekämpfen. Dieses Programm umfasste ein weites Spektrum von Repressionen, Regeln, neuen Gesetzen und Verboten. In der Folge wurden Versammlungen und viele Vereinigungen verboten, Gesetze legitimierten eine strenge Pressezensur, man suspendierte unliebsame liberale Hochschullehrer. Zu den exekutierten Maßnahmen finden sich viele Daten unter historischen Stichworten wie Karlsbader Beschlüsse oder Demagogenverfolgung. Heute würde man von Verschwörungstheoretikern reden. Framing ist keine Erfindung unserer Zeit!
Wichtig ist, dass es im Begriff der abgelehnten Liberalität, tatsächlich im eigentlichen Wortsinn um geforderte Freiheitsrechte geht. Die Bedeutung dieses Wortes ist, noch nicht wie heute, in eine Zwangsehe mit der Ökonomie gezwungen worden.
Um Repression und Kontrolle der Bürger durchzusetzen bildete sich im Auftrag Metternichs ein umfassendes Überwachungssystem, mit dem freiheitliche oder nationale Impulse schon im Ansatz erkannt und dann unterdrückt werden konnten. In Mainz entstand die berüchtigte „Zentraluntersuchungskommission, deren Aufgabe es war, verdächtige Personen zu bespitzelten. Metternichs System zur Unterdrückung der gesamten Bevölkerung erwies sich als überaus wirksam: die Fürstenherrschaft und deren Ordnungs- und Machtstrukturen blieben bis auf weiteres erhalten.
Die eingeschüchterte und unterdrückte Bevölkerung reagierte in ihrer Angst und Ohnmacht mit Rückzug. Man beschränkte sich auf die eigenen vier Wände. Brav und fromm folgte man den Geboten der Obrigkeit.
Das „Private“ wurde erfunden.
Privat entstammt dem Latein und bedeutet ursprünglich „abgesondert“, „beraubt“, „getrennt“, „das Eigene“, „für sich bestehend“.
Das Private ist getrennt von der Allgemeinheit und ein Gegenbegriff für Öffentlichkeit. Das Private gilt nur für eine eingegrenzte Menge an Personen, zu denen eine Art Vertrauensverhältnis besteht. Das Fremde und Andere wird vom „privaten“ ausgeschlossen.
Zusammengefasst: das „Private“ verdankt seine Entstehung dem staatlichen Druck auf den Einzelnen, der mit Rückzug aus dem öffentlichen Raum reagiert. Letzten Endes entsteht eine Art von Isolation, ähnlich wie im „lockdown“ mit „social distancing“. Die Menschen im neunzehnten Jahrhundert empfanden diesen Sachverhalt, sei es bewusst oder unbewusst, als ein wenig zu negativ, um die Konsequenzen einfach so „schlucken“ zu können. Auch sie brauchten ein Narrativ, also eine akzeptable, die gesellschaftlichen Veränderungen und ihr eingeschränktes Leben irgendwie erklärende Geschichte, die es für ihr Denken annehmbar machen zu können. Stichwort: „Kognitive Dissonanz“.
Das kulturelle Narrativ der Menschen aus dem neunzehnten Jahrhundert fand sich in der Epochenbezeichnung „Biedermeier“. Nun hörte sich das Ganze nicht mehr nach einem Versuch, Metternichs allumfassender Bespitzelung und Unterdrückung, durch Flucht ins „Private“ zu entgehen an. Im Gegenteil der Rückzug war keiner mehr. Es war die Entscheidung für ein neues besseres Leben. Im Denken der Menschen verwandelte sich die Veränderung ihres Lebens, mit der sie eigentlich auf umfassende staatliche Bedrängnis reagierten in einer freiwilligen Besinnung auf bürgerliche Werte. Man richtete sich ein in eine Welt voller Behaglichkeit, voller Ruhe und Schönem. Das Bewusstsein trat aus dem Zustand quälender kognitiver Dissonanz heraus. „Wir sind nicht eingesperrt, sondern wir wollen allein sein mit unseren Liebsten und traut bei einander hocken.
Typisch für die Zeit, sind besonders spektakuläre vielfarbige Sonnenuntergänge, die sich auf vielen Gemälden finden. Diese wurden allerdings durch den katastrophalen Ausbruch des Vulkans Krakatau in Indonesien verursacht. Das scheint mir ein passendes Bild zu sein.
Die Bezeichnung „Biedermeier“ ist einem Band mit Gedichten mit Titeln wie „Biedermanns Abendgemütlichkeit“ und „Bummelmaiers Klage“ von J. V. von Scheffel entlehnt.
Der erfundene Herr Biedermeier war ein dichtender schwäbischer Dorflehrer. Man sagte ihm ein einfaches Gemüt nach. Sein ganzes Glück war sein kleiner Garten. Der Autor karikierte in seinen Geschichten die Biederkeit, den Kleingeist und die unpolitische Haltung großer Teile des Bürgertums.
Erst ab den 1830er Jahren begannen die Menschen sich langsam diesem allumfassenden Druck zu entziehen. Allerdings kam es nie zu einer wirklichen Befreiung des Großteils der Bevölkerung. Die meisten Menschen haben sich niemals aus ihrer Klassifizierung als Verwaltungsakt emanzipieren können.
Auch heute stehen wir wieder einem „System Metternich“ gegenüber. Im Gegensatz zu damals, als es den Mächtigen ganz offen um die Restauration ihrer Macht ging, ist es heute nicht klar, welche Agenda unser Führungspersonal antreibt.
Eine immer weitergehende Beschneidung von Grundrechten, insbesondere unserer Freiheitsrechte, eine Aufhebung der Legislative zugunsten der Exekutive, eine unfassbare Erodierung unserer persönlichen Verantwortung und des grundsätzlichen Entscheidungsrechts für die Belange unseres eigenen Lebens wird aber immer deutlicher.
Unsere Vorfahren konnten immerhin nach klar erkennen, wer für ihre Unfreiheit und Rechtlosigkeit verantwortlich war. Die Fürsten und ihre Schergen kannte man. Was sie wollten und taten war kein Geheimnis.
Es waren und sind immer Menschen, die zur Durchsetzung ihrer Interessen ihre Mitmenschen unterdrücken, ausbeuten und in Unmündigkeit halten. Gegen Menschen ist eine Gegenwehr möglich. Heute sind die Absichten unserer Führungspersonen nicht mehr so klar zu erkennen.
Heute ist unser Gegner ein Virus. Es ist ein perfider Sprachtrick davon zu sprechen, ein Virus würde uns die Rechte nehmen. Es sind immer Menschen.
Ich glaube Metternich war der bessere Mann. Er brauchte keine mediale Dauerberieselung und nonstop Wiederholung von propagandistischen Frames und Narrativen, um seinen Willen durchzusetzen. Leute wie Spahn und Merkel würde er zum Frühstück verputzen!
Aber dennoch, unser Führungspersonal erzeugt mit den Mitteln der bewusst eingesetzten Angsterzeugung einen so gewaltigen Druck auf die Menschen, dass wieder ein Rückzug ins Private erfolgt. Im Biedermeier erschufen sich die Menschen die Traumwelt der wohlig bürgerlichen Privatwelt um der Erkenntnis des Drucks der Staatsgewalt zu entgehen.
Heute werden wir vom Staat in die soziale Isolation gezwungen. Zwar lassen uns kleine Lockerungen dies vergessen. Aber der strenge Griff des Staates kann uns jederzeit wieder in Einzelhaft nötigen.
Zuletzt werden wir uns an die Beschränkungen gewöhnen. Schon jetzt mehren sich die Stimmen, die auf all die positiven Veränderungen hinweisen, die sich daraus ergeben, dass wir „durchhalten“. Ich fürchte, dass die Konsequenzen viel umfassender sein werden als wir jetzt erkennen können.
Die Biedermeierisierung hat schon eingesetzt. Die Leute gehen nicht mehr aus. Sie bleiben zu Hause. Sie arbeiten von zu Hause aus, wenn sie noch Arbeit haben. Netflix und ähnliche Unterhaltungsdienste verwandeln sich in Goldgruben. Der Onlinehandel explodiert.
Wir wissen nichts über die häusliche Gewalt nach dem Rückzug ins Private im Biedermeier. Heute nimmt die Zahl von Menschen, vor allem Kindern, die in der „Beschaulichkeit des privaten Heims“ im Kreise ihrer vertrauten Lieben zu Schaden kommen: häusliche Gewalt nimmt dramatisch zu.
Dem Geschehen heute fehlt die „Beschaulichkeit“, das wohlig Menschliche des Biedermeier. Heute strahlt die Welt eher eine aseptische, technologische Kälte aus, die bestimmt wird von Mechanisierung und Computerisierung.
In hundert Jahren wird man vom BiederNet sprechen.