Das aus dem Jahre 1895 stammende Buch „Psychologie der Massen“ beschreibt das Verhalten von „Massen“. Unter einer Masse versteht der Sozialpsychologe Gustave Le Bon eine Menge von Menschen, die unter einem bestimmten Aspekt miteinander verbunden sind. Was dann im Einzelnen dieses Gemeinsame sein kann, ist zunächst nicht mein Thema.
In unseren Tagen liegen als Gemeinschaft bildende Begriffe ganz vorne: Gesundheit, Solidarität, Ansteckungsgefahr, Angst. Die Liste lässt sich ergänzen.
Entscheidend ist, dass diese „Masse“ Menschen solcherart miteinander verbunden ist, dass der Einzelne mit den Anderen zu einer „Massenseele“ verschmilzt. Diesen Begriff hat Le Bon geprägt, um zu verdeutlichen, dass die Individualität zugunsten des Gemeinschaftlichen aufgehoben ist, das „Ich“ löst sich im „Wir“. Die verschiedenen von Le Bon herausgearbeiteten Merkmale der Massenseele gehören auch heute noch zum Basiswissen jeden Politikers, jedes Public Relations Fachmanns und Werbefachmanns. Die Beobachtungen von Le Bon fließen also in die Arbeit von jedem ein, der Meinungen beeinflussen will, der bestimmten Botschaften Geltung verschaffen will und etwas verkaufen will, also kurz gesagt, jedem Propagandisten.
Hier stelle ich zwei Perspektiven vor: erstens das Verhalten der Massen (oder: was geht vor in der Massenseele) und wie kann das genutzt werden, um die Massen zu steuern und zu verwalten.
Dabei geht es um Macht und wie diese mit maximaler Effektivität ausgeübt werden kann. Da wir leider nicht in der von Kant erhofften Welt mündiger Bürger leben, die autonom entscheiden und urteilen, sondern im Gegenteil erkennen müssen, dass die meisten Menschen gar nicht an selbstständigem Denken interessiert sind, sondern sich bereitwillig einem starken Willen unterstellen, bleibt die Manipulierbarkeit der Massen leider das Mittel der Wahl unserer sogenannten Eliten. Der einzige Weg zu einer Befreiung kann nur durch die Selbstermächtigung jedes Menschen im Sinne der Übernahme der Verantwortung für die eigenen Gefühle, Gedanken und Handlungen und der konsequenten Zurückweisung jeder Bevormundung gefunden werden.
Charakterisierung der Massen
Merkmale: eine Menge von Menschen, die etwas miteinander verbindet.
Die Zugehörigkeit zu einer Masse ist identitätsstiftend.
Dieses Gemeinsame besteht in „wichtigen“ geteilten Interessen.
Das Einzelne Mensch verliert in der Masse seine persönliche Gestalt.
An die „freigewordene“ Stelle tritt die mit allen geteilte, gemeinsame „Massenseele“, sagt Le Bon.
Wenn der individuelle Mensch in der Massenseele aufgehoben wird, verwandelt er sich: in der Masse wird der Mensch roher, primitiver, reagiert impulsiver und radikaler.
Der Einzelne mag von sich sagen, er könne keiner Fliege etwas zu leide tun.
Als Teil der Masse gilt das nicht mehr: ein Lynchmob ist immer eine Masse.
Zusammen mit Anderen ausgeübte Gewalt wird nicht mehr als schwerwiegend empfunden.
Selbst Ordnungsverstöße werden mit einem „das machen doch Alle“ fast schon legitimiert, auf jeden Fall aber banalisiert.
„Was Alle machen“ wird zum Wahrheitskriterium, das keiner weiteren Beweisführung bedarf und Abweichung davon wird sanktioniert
Der Massenmensch ist viel leichter zugänglich durch Manipulation.
Er reagiert stärker auf Bilder und Geschichten, seine Gefühlslage, in welche Richtung auch immer, verstärkt sich.
Er wird empfänglicher für Emotionen und fühlt auch stärker.
Das gilt besonders für elementare Emotionen wie Angst und Wut aber auch für Freude.
Er verliert das Wissen um den Unterschied zwischen Gefühl und Empfinden. Ein Gefühl, sei es angenehm oder unangenehm, gehört zu einem Reiz-Reaktions-Schema. Der Mensch ist so von Außen bestimmbar. Empfinden heißt „In-Sich-Finden“, als Orientierung aus einem selbst. Das ist eine Ebene des Unterschiedes von Heteronomie und Autonomie.
Polemisch formuliert: der Massenmensch verwandelt sich eine ursprünglichere Gattungsform. Der Mensch wird zum Hominiden, zum „Raubaffen“.
Dem gegenüber hat der Einzelne noch die Chance, sich mit seiner Vernunft zu zügeln und bewusst zu einem anständigem Verhalten aus freier Wahl zu entscheiden.
In der Masse kann der Mensch sich gehen lassen und unterliegt nicht mehr dem Verantwortungsdruck, unter dem er bis dahin wegen seiner (hoffentlich) ethischen Erziehung stand.
In gewisser Weise kann man sagen, der Mensch wird in der Masse „frei“.
Le Bon sagt, der Mensch regrediert in der Masse in eine primitivere, wildere Frühform.
Bei jeder Massenveranstaltung beobachtet man eine leichtere, „ansteckende“ Erregbarkeit, heftigere Emotionen. Es scheint zu jedem Zeitpunkt, dass die Stimmung kippen kann. Man denke an die heftigen, schwankenden Emotionen bei Fußballspielen. Und viele Fans gehen zum Fußball, um die Alltagskontrolle einmal loszulassen, in der Menge zu verschwinden und mit den heftigen Gefühlen der anderen Fans zu verschmelzen.
Man denke an die Großveranstaltungen im Dritten Reich. Alle starken Emotionen übertragen sich innerhalb der Massen. Die Nazi-Redner haben auf den Gefühlen der Massen wie auf einem Instrument gespielt. Der einzelne Deutsche wurde zum Teil eines Volkskörpers.
Diese Übertragbarkeit innerhalb von Massen führt auch zu Phänomenen wie Massenhalluzinationen und Massentäuschungen. Dieses Geschehen ist gut dokumentiert. Glaubt einer aus einer Masse, etwas Bestimmtes gesehen zu haben (und dabei kann es sich auch um eine optische Täuschung handeln) und macht dann innerhalb der Masse darauf aufmerksam, werden bald auch die Anderen “sehen“, was er gesehen hat: schon gibt es Massensichtungen von UFOs.
Leider bedeutet das aber auch, dass Massen leicht zu täuschen sind.
Ist die Masse dann gemeinsam überzeugt davon, das UFO gesehen zu haben, ist es kaum noch möglich, sie davon abzubringen: weder durch Fakten noch durch offensichtliche Tatsachen.
In der gemeinsamen Täuschung wirkt kein vernünftiges Argument.
Allerdings ist es anscheinend so, dass, was auch immer einer Masse zur Übernahme präsentiert wird, sich mit einer schon vorhandenen Sicht auf die Welt vereinbaren lassen muss.
Diesen gemeinsamen Hintergrund könnte man auch als den kulturellen Hintergrund einer Gesellschaft bezeichnen. Die kulturelle Basis unserer Kultur beruht auf Werten der jüdisch, christlichen Tradition. Ein wesentliches Merkmal ist ihre paternalistische Struktur mit einer stark hierarchischen Herrschaftsstruktur. An deren Spitze steht Gott, gefolgt von seinen Hohepriestern. Die Ähnlichkeit mit, uns bekannten, Strukturen ist auffallend. Eine, warum auch immer herrschende, Elite übt die Macht gemäß ihren Interessen, dass heißt, gemäß von ihnen selbst postulierten Notwendigkeiten aus.
Diese gewohnte Struktur als Basis der Gesellschaft ist von der Masse verinnerlicht und ist akzeptiert als Grundbedingung des Miteinanders.
Wegen der Gebundenheit an das Gewohnte, ist eine nicht hierarchische, herrschaftsfreie Gesellschaftsform der Masse nicht als eine neue, bessere Gemeinschaftsform zu vermitteln.
Variationen von Elitenherrschaft lassen sich aber leicht auf der schon gegebenen Grundstruktur implementieren.
(Dieser beklagenswerte Sachverhalt stellt ein großes Problem dar für die zurzeit entstehenden politischen Parteien mit neuen offenen, gleichberechtigten, liberalen Vorstellungen eines menschlicheren gesellschaftlichen Miteinanders!)
Aus dem bisherigen Befund ergeben sich Wege zur Beeinflussung von Massen.
Zunächst stellt Le Bon fest, dass Massen schwerer zu steuern sind, wenn die Gesellschaft „funktioniert“, wenn das Leben lange Zeit in einer bestimmten Regelhaftigkeit verläuft, die Menschen sich innerhalb der Gesellschaft im Großen und Ganzen sicher und wohl fühlen: es gibt einen gewissen Wohlstand, es gibt Arbeit, angenehme Freizeitveranstaltungen stehen zur Verfügung. Die Menschen leben in einer „ruhigen Zeit“. Unter solchen Bedingungen reagiert die Masse „träge“. Veränderungen sind nur schwer durchsetzbar.
Ganz anders sieht es aber aus, wenn die „Grundpfeiler“ des Lebens ungewiss werden, die Sicherheit fragwürdig wird, wenn die Kultur als Summe des Gewohnten zusammenbricht. In einer destabilisierten Welt werden die Massen wieder leichter beeinflussbar. Es muss das innere Zusammengehörigkeitsgefühl der unter bestimmten gemeinsamen Vorstellungen verbundenen Menschen aufgehoben werden: es muss gesellschaftlicher Unfrieden geschürt werden.
Ungerechte Verteilung, Druck durch Flüchtlinge, Angst vor Umweltkrisen, Furcht um den Arbeitsplatz. All dies macht die Massen zugänglich für neue Ziele und Vorstellungen, die implementiert werden sollen.
Sind die Massen aus ihrer Ruhe aufgeschreckt, erweisen sich bestimmte Vorgehensweise zu ihrer Kontrolle als besonders wirksam. Dabei ist wichtig zu verstehen, dass Menschen umso stärker ansprechbar sind, wenn man ihnen möglichst emotionsgeladene Bilder und Geschichten präsentiert. Dies bestätigt auch die moderne Kognitionswissenschaft.
Aktuell spricht man von Narrativen. Das sind für die Gemeinschaft identitätsstiftende Geschichten, denen Menschen gerne zustimmen, die sie für wahr und schlüssig halten können, und natürlich auch sollen. Ein weiterer wichtiger Begriff ist das „Sprachliche Framing“. Beim Framing werden ausgesuchte Begriffe geprägt, die dazu benutzt werden, um bestimmte Wertungen, Haltungen und Meinungen im Denken hervorzurufen und im Bewusstsein zu verankern.
Ein typisches Bespiel für ein Framing ist die Bezeichnung „Verschwörungstheoretiker“. Damit sind negative Assoziationen verknüpft worden. Die Argumente, die jemand vorbringt, der als Verschwörungstheoretiker „geframed“ worden ist, werden nicht mehr gehört. Die Erkenntnisse der modernen Kommunikationsforschung, die in vielerlei Hinsicht auf Le Bons Forschungen basieren, werden heute sehr gekonnt und konsequent angewandt.
Mancher fragt sich aus gegebenem Anlass, wie es sein kann, dass bestimmte Tatsachen von großen Teilen der Bevölkerung nicht zur Kenntnis genommen werden oder radikal, ohne inhaltliche Auseinandersetzung, abgelehnt werden.
Um das zu verstehen muss man sich erst einmal klarmachen, dass, solange ein starkes, mit erregenden Emotionen erzeugtes Bild im Denken der Menschen besteht, solange also eine „gute“ Geschichte dieses Bild unterstützt und entsprechende Frames gesetzt werden, kein anderes, dieses gewohnte Bild in Frage stellendes, neues Wissen aufgenommen wird.
(Das ist natürlich der Hauptgrund, warum bestimmte Bilder und Informationen immer wieder wiederholt werden. Das Denken ist gewissermaßen mit gewünschten Daten vollgestellt, manchmal, möchte ich sagen, geradezu zugemüllt.)
Aus alledem wird klar: Massen lassen sich nicht durch Vernunft und Logik beeindrucken oder gar umstimmen.
Solange Lügen in bestehende Narrative und Frames „stimmig“ eingebunden sind, solange das „Bild stimmt“, gibt es keine Infragestellung.
Selbst bewiesene Lügen, Fehler, offensichtliche Desinformationen und Fakenews bringen die Überzeugungen nicht zum Wanken, die in der Massenseele verankert worden sind.
Ein Großmeister der Manipulation, der schreckliche Propagandaminister des dritten Reichs, Joseph Goebbels, hat offen zugegeben, dass die Lüge zu seinen Werkzeugen gehört. Wie absurd oder grotesk und billig eine Lüge sei, spiele überhaupt keine Rolle. Man müsse die Lüge einfach nur unentwegt wiederholen, dürfe keinen Millimeter von der Aussage abweichen, und alsbald würde die Bevölkerung die Lüge für die Wahrheit halten. Zuletzt kämpft die von der Lüge als Wahrheit überzeugte Masse dann auch für diese Lüge bis in den eigenen Untergang.
Jetzt braucht es zur Beeinflussung nur noch starke Führungspersonen. Diese müssen ihre Erwähltheit zum Leiten der Massen durch demonstrative starke innere Überzeugung zum Ausdruck bringen.
Für die Massen spielt es dann keine Rolle mehr, ob die von einer Führungsperson gewählten Maßnahmen vernünftig sind, ob sie „Sinn machen“, sondern was allein zählt ist, dass die Führungsperson mit aller Kraft ihre Pläne durchsetzt und sich dabei gegen alle möglichen Zweifel oder kritischen Zwischenrufe durchsetzt.
Laut Le Bon kann man für so eine Führungsrolle eigentlich niemanden mit einem kritischen Verstand brauchen, jemanden, der zögert zu Handeln, solange nicht alle Argumente gehört sind, der womöglich fragt, bevor er eine Entscheidung umsetzt. Das lehnt die Masse als Schwäche ab.
Eine Führungsperson braucht weder Vernunft noch Intelligenz, sondern nur den absoluten Willen, das durchzusetzen, was sie einmal als Richtig postuliert hat und das nun Ziel ihres Willens ist.
Das solche Figuren mit ihrem Handeln in der politischen Welt unserer Tage im Vordergrund stehen darf da wenig Erstaunen hervor rufen.
Die Strategie der bestimmenden Personen im Umgang mit der Masse besteht also aus starken Behauptungen, die eingepasst sind in passende Narrative und Frames, die getränkt und unterstützt werden von Bildern, die starke Gefühle transportieren.
Im Übrigen: als stärkstes, und damit brauchbarstes, Gefühl hat sich immer wieder die Angst als Mittel der Wahl gezeigt.
Die Botschaften der Führungspersonen müssen nun mit der Wucht der eigenen, nie wankenden, von keiner Vernunft gestörten, inneren Überzeugung ununterbrochen wiederholt werden.
Spricht man da nicht vom Einbläuen?
(einbläuen: jemanden mit Schlägen etwas beibringen)
Diese Methode ist natürlich umso erfolgreicher, je größer die Kontrolle über die Medien als Werkzeuge der Wiederholung ist.
Hat sich die Botschaft auf diesem Weg in den Köpfen der Menschen erst einmal festgesetzt, kommt der Erfolg durch Übertragung der Information fast von selbst.
Dazu passt natürlich heutzutage die Analogie der Ansteckung durch einen übertragbaren Virus. Wenn sich die bei diesem Vorgang übertragene Information innerhalb der Massenseele erst einmal verbreitet hat, ist es sehr schwer, eine Korrektur vorzunehmen.
Le Bon glaubt, das Erwachen der Kritikfähigkeit der Massenseele sei fast unmöglich.
Ich hoffe, Le Bon irrt!
Menschen, die sich gegen die Überzeugungen der Massenseele stellen, werden von der Masse angegriffen, sie werden denunziert, stigmatisiert und nach Möglichkeit aus dem öffentlichen Bewusstsein entfernt.
Dabei helfen die nützlichen Framings. (Wir kennen sie alle: Rechter, Linker, Aluhut, Verschwörungstheoretiker; besonders übel: Gefährder der Alten, Schwachen, Kinder und gewalttätiger Feind der Rettung unser aller Gesundheit)
Bei all den schrecklichen Ergebnissen, zu denen diese Verhaltensstrukturen des Menschen als „Massenmensch“ im Laufe unserer Geschichte als Gattung geführt haben, stellen sich die Fragen:
Warum lernen wir nicht aus unserer Manipulierbarkeit?
Warum übernehmen wir keine Verantwortung für unser Leben?
Warum fangen wir nicht an zu denken und zu hinterfragen?
Es scheint so zu sein, dass sich in diesen Verhaltensweisen, vieles von tradierter Obrigkeitshörigkeit zeigt. Sigmund Freud erklärt, dass sich in den Massen ein Objekt (Narrativ, Framing) im Ich-Bewusstsein verankert, mit dem sie sich dann identifizieren. Wilhelm Reich sieht in der Manipulierbarkeit das Ergebnis einer triebunterdrückenden, autoritären Erziehung und von faschistoiden Ideologien.
Ein Hauptproblem aber ist die Tatsache der Trägheit und des starken Wunsches der Menschen, die Dinge mögen so bleiben, wie sie sind. Im kollektiven Gedächtnis hat sich die Beobachtung verankert, das uns Menschen Veränderungen selten „Gutes“ beschert haben. Und da unsere Entwicklung als Gattung gewiss eine bedeutende Rolle spielt, sollte die Perspektive der Evolutionspsychologie mit einbezogen werden.
Für das Überleben unserer Vorfahren war es gewiss ein Vorteil, einem fähigen Anführer oder einer fähigen Anführerin zu folgen. Der Zusammenhalt war eine Notwendigkeit. Koordination gemeinsamer Handlungen, zum Beispiel bei der Jagd, war von entscheidender Bedeutung für den Erfolg. Die Gruppe hätte nicht überlebt, wenn alle ihrem Impuls gefolgt wären. Das scheint plausibel, denn diese These wird von der Primatenforschung bestätigt (Robert Sapolsky, Frans de Waal). Dort zeigt sich sogar, dass durch starke, aber unfähige Clanführer der Gesamt-Stressspiegel der Gruppe steigt – mit den selben Folgen, wie bei uns Menschen: geringere Gesundheit und Lebenserwartung bei mehr Uneinigkeit und Streit. Ruhige, friedvolle Führung lässt innerhalb der Gruppe eine viel entspanntere Atmosphäre entstehen.
Und diese Strukturen, die wir von unseren Vorfahren übernommen haben sich bewährt.
Und das Bewährte behält der Mensch bei.
Die größte Herausforderung für den Menschen liegt darin, diese, gewissermaßen genetisch verankerten, Verhaltensweisen unter der Perspektive der Vernunft zu untersuchen und neu zu entscheiden, ob er nicht vielleicht doch lieber selbst unterscheiden, urteilen und selbständig handeln lernt, oder bequemerweise weiter brav tut was man ihm sagt.
Die Frage, die sich im Laufe der Geschichte immer wieder gestellt hat und auch heute wieder in aller Schärfe stellt ist also:
woher nehmen wir eine, für das Funktionieren von Gesellschaften notwendige, Führungsriege, der wir vertrauen können, die sich für unser Wohl einsetzt, die kompetent und offen agiert, die nicht irgendwelchen Partikularinteressen dient, sondern alles tut, um das Leben der Menschen, denen sie verpflichtet ist, zu verbessern, die mit ihrer Bevölkerung im Diskurs bleibt und eine echte Demokratie fördert?
Diese Frage ist leider nach wie vor ungeklärt.
Gustave Le Bon, Psychologie der Massen, 1895