Tautologische Epistemik oder Erkenntnis
Lassen Sie sich nicht von dem Begriff abschrecken!
Wenn ich erklärt habe, was ich damit meine, öffnen sich vielleicht neue Wege, sich an die Welt und sich selbst „heranzudenken“.
In dieser Kombination werden Sie die Begriffe wahrscheinlich nicht finden.
Oft ist es so: ist erst einmal die Wortbedeutung definiert, fällt die Klärung leicht.
Epistemologie: Wikipedia[1]„Die Erkenntnistheorie (auch Epistemologie oder Gnoseologie) ist ein Hauptgebiet der Philosophie, das die Fragen nach den Voraussetzungen für Erkenntnis, dem Zustandekommen von Wissen und anderer Formen von Überzeugungen umfasst. Dabei wird auch untersucht, was Gewissheit und Rechtfertigung ausmacht, inwieweit wahre Erkenntnis überhaupt möglich ist und welche Art von Zweifel an welcher Art von Überzeugungen objektiv bestehen kann, wenn nicht sogar bestehen sollte.“
Tautologie: Wikipedia „Tautologie (von altgriechisch ταὐτό = dasselbe, sowie λόγος, lógos‚ sprechen, Rede‘, und vieles mehr) bezeichnet einerseits in Argumentationslehre und Logik eine immergültige und damit wahre Aussage. Eine typische Tautologie ist: „wenn es regnet, regnet es“ oder ein Satz, der in der heutigen Zeit gut passt: „Das Wetter ändert sich, oder es bleibt, wie es ist.“ Es handelt sich also um die Aussage einer inhaltlichen Wiederholung. Im Begriff ist das, worum es geht, bereits inhaltlich enthalten. Bei manchen Kombinationen, wie dem berühmten „weißen Schimmel“ ist das auch jedem klar.
Ich führe den Begriff „tautologische Erkenntnis“ ein, um ein unser aller Leben durchziehenden Problemkreis zu benennen. Wir können nichts erkennen, wenn wir es nicht schon auf die eine oder andere Weise kennen und folglich bewusst oder unbewusst erwarten.
Zum Beispiel: da ist jemand von einem Partner total enttäuscht und verletzt worden. Man versteht die Welt nicht mehr. Folgendes stellt sich heraus. Die Person hat den Partner sehr bewundert und sich sehr gewünscht, von diesem angenommen zu werden. Wie das Kind, dass von seinen Eltern angenommen werden will und angenommen sein muss! In diese seine Kindererwartungswelt hat die betreffende Person den Partner, ohne das dies jenem klar war, hereingezogen (Projektion und/oder Übertragung). Sofort hat sich die Beziehung in eine Eltern-Kind-Struktur verwandelt. So etwas funktioniert halt meist nicht lange.
Sobald der Partner sich einmal kritisch äußert und die erwartete Anerkennung verweigert, wiederholt sich die aus der Kindheit erhaltene Enttäuschung. Es wird nur das (für) „wahr“ genommen, was zur Erfahrung und daraus resultierender Erwartung passt.
Meine These ist: Einerlei, wie wir eine Erfahrung machen, sei es über die Sinne oder über die Gefühle oder wie auch immer, wird diese von unserem So-Sein (Persönlichkeit als Summe von Charakter, Sozialisation, Glaubenssätzen, der Kultur, aus der wir stammen, den herrschenden Narrativen/Weltdeutungen etc.) durchtränkt sein. Da kommen wir nicht raus. Insofern ist die Erfahrung „tautologisch“. Insofern ist der Andere immer ein Anderer unserer Selbst, also ein Teil von uns Selbst – und wehe der spiegelt uns nicht korrekt...
Unser So-Sein entspricht der berühmt-berüchtigten „Brille“, die bestimmt, wie alle Daten, die wir aufnehmen gefiltert, sortiert, bewertet oder überhaupt erst wahrgenommen werden (für-wahr-genommen). Diese letztlich sehr eingeschränkte, weil festgelegte, Perspektive entspricht gewissermaßen der Summe der Sichtweisen innerhalb des eigenen Horizonts. Um bei der Brillen-Metapher zu bleiben: Die Wahrnehmung der Welt geschieht gemäß der eingeschliffenen Sehstärke.
Das „es oft nicht passt“ und unser Erkenntnisvermögen oft nur mangelhafte Ergebnisse liefert ist uns auch eigentlich allen klar.
Wie krass es mit unserer Wahrnehmung aussieht, zeigt ein Experiment, dass im Internet verfügbar ist. Die Zuschauer am Bildschirm sehen mehrere Studenten, die sich einen Ball hin und her zuwerfen. Die Aufgabe für die Zuschauer besteht darin, sich auf die Spieler zu konzentrieren und mitzuzählen, wie oft der Ball hin und her geworfen wird. Während dieses Ablaufs kommt von der Seite ein als großer Affe verkleideter Student zentral ins Bild und geht dann auf der anderen Seite wieder heraus. Das verblüffende ist: Die allermeisten Zuschauer sehen diesen Affen nicht (nehmen in eben nicht wahr). Beim ersten Mal, als ich diesen Film sah, habe ich den Gorilla auch nicht gesehen, habe aber brav die Zahl der Ballkontakte gezählt. Mein Wahrnehmungsvermögen hat keinen Affen erwartet, nicht damit gerechnet und ihn als er da war, einfach ausgeblendet. Meine Erkenntnisfähigkeit war schach-matt.
Im Alltag ist es ja oft so, wenn das, was ich erwarte und das, was tatsächlich passiert nicht übereinstimmen, folgt eine korrigierende Enttäuschung. Statt froh zu sein, aus der Täuschung heraus zu sein, sind wir eher ärgerlich oder traurig.
Wenn man drüber nachdenkt, möchte man schier verzweifeln. Die Brille, die wir tragen, entscheidet, was von uns wahrgenommen wird.
Wenn man nicht weiß, dass man die Welt durch eine Brille sieht, hat man kaum eine Chance, unsere Welt so zu sehen, wie sie ist. Wir sehen nur, was wir halt „brillentechnisch“ sehen können. Diese Wahrnehmungs-Strukturen verlaufen meist unbemerkt, also „unbewusst“. Außerdem erweist sich der bewusste Umgang mit der eigenen Sichtweise oft als höchst unbequem und unangenehm.
Allerding ist die Auseinandersetzung mit diesen Strukturen nun einmal die unbedingt notwendige Voraussetzung für eine Richtigstellung und Korrektur, für ein selbstverantwortliches Leben, autonomes Denken und die Möglichkeit echter Begegnungen.
Nebenbei: letztlich um das Problem und Wahrnehmung und Erkenntnis geht es in der Kritik der reinen Vernunft von Immanuel Kant. Er forderte, dass man sich mit den Voraussetzungen des eigenen Denkens auseinandersetzen müsse, um überhaupt klar denken und verantwortlich mit seiner Vernunft umgehen zu können. Denn letztlich könne man die Welt, wie sie für sich selbst ist, nicht erkennen. Wir können sie nur über unser menschliches Instrumentarium erkennen. Deshalb müssten wir Menschen eben die Art und Weise wie wir sie sehen untersuchen.
Ansonsten hat die Welt so zu sein, wie ich sie sehe! Und wenn sie sich unverschämter weise weigert, so zu sein, wie ich sie sehe: Bitteschön! Dann wird sie passend gemacht...!
Zum Thema „Brille“ sagt man in Köln mit erkenntnistheoretischer Nüchternheit: was du glaubst, das siehst du!
Natürlich können wir mit einigem Recht sagen: „Ja, das mag wohl so sein! So what? Kommen wir Menschen nicht trotzdem ganz gut klar?“ Die Frage muss wohl jeder für sich selbst beantworten. Bei all den Schwierigkeiten unserer Zeit, im Kleinen wie im Großen, scheint es mir aber sehr sinnvoll, die Gründe dafür genauer zu kennen, warum ich dies oder jenes denke, meine, fürchte, wünsche und fühle.
Die meisten Menschen stellen sich diese Fragen erst, wenn die Diskrepanz zwischen ihrer Sicht und Erwartung und ihrem tatsächlichen Leben so sehr anwächst, dass sie nicht mehr ignoriert werden können. Das ist meist sehr schmerzhaft.
Deshalb ist zu empfehlen, schon vorher Mut zu fassen und sich mit kritischem Blick die eigenen Strukturen und Mechanismen bewusst anzuschauen.
Wir bleiben immer, wer wir sind. So gesehen bleibt unsere Erkenntnis immer tautologisch. Aber wie wir sind, dass heißt, ob unser Horizont eng oder weit ist, ob wir eigenständig sind oder unfrei – das können wir sehr wohl beeinflussen. Um die „Brille“ ablegen zu können, müssen wir zumindest wissen, dass wir sie tragen.
[1]Ich sehe die „Wikipedia“ in vielerlei Hinsicht als eine problematische Wissensquelle an. Sobald es um gesellschaftlich relevante Narrative geht und alles was mit diesen zusammenhängt, ist stets größte Vorsicht geboten (Oje, also fast immer...). Aber um Begriffe kurz und griffig zu definieren, greife ich gerne darauf zurück.